„Selfie“ von Anne Faber, aufgenommen am 29.9.2017 um etwa 18.45 Uhr abends. Sie war mit dem Velo unterwegs. Anne Faber: getötet am 29.9.2017, wenige Stunden nachdem sie diese Selfie ihrem Freund geschickt hat. Der Täter ist ein im Jahre 2012 (!), wegen der Vergewaltigung von zwei jungen Mädchen, zu 11 Jahren Gefängnis verurteilter 28-jähriger Sexualstraftäter. Er durfte sich ausserhalb des forensischen Instituts, wo er stationär behandelt wurde, frei bewegen, da die Therapeuten garantieren konnten, dass er für die Gesellschaft keine Gefahr mehr darstellte.
Dies ist eine traurige Geschichte über Garantie.
wir Menschen sind schnell mit dem Begriff “Garantie”. “Ich garantiere dir, dass das nicht mehr passieren wird”, sagte mir mal ein Betreuer von schwer erziehbaren Jugendlichen, die in unserem Fitnesszentrum trainieren durften “um wieder schneller zu resozialisieren” und die er betreute. Innerhalb von zwei Wochen wurde dann Geld von Kunden aus dem Umkleideraum entwendet. Der Betreuer sprach mit den Jugendlichen und die gaben zu, das Geld genommen zu haben. “Aber ich garantiere, dass das nicht mehr passieren wird” sprach er dann zu mir. “Und was, wenn doch”, fragte ich ihn. “Zahlst du mir eine Wiedergutmachung, weil der Ruf meines Zentrums sehr darunter gelitten hat und langjährige Kunden kündigen, weil sie das Risiko nicht mehr nehmen wollen?” Nein, natürlich nicht sagte er mir, ich müsse ihn schon vertrauen.
An diese billige Garantie musste ich diese Woche mehrmals denken, als ich die Nachrichten verfolgte über die vermisste 25-jährige Anne Faber aus einem kleinen Dorf in Mitte-Holland.
Nicht weit von ihrem Wohnort, wohin sie am 29.9. mit dem Fahrrad unterwegs (sie schickte ihrem Freund noch schnell ein “Selfie” (Siehe Foto)) war um 18.45 Uhr, ist ein sgn Forensisches Institut. Hier werden verurteilte Straftäter resozialisiert. Einer von ihnen, ein 28-jähriger Sexualtäter namens P., der 2010 zwei sehr junge Mädchen vergewaltigt hatte und 2011 zu 16 Jahre Haft (2012 in Berufung umgewandelt in 11 Jahre) verurteilt worden war, sass da im halboffenen (!) Vollzug seit 2016 (!). In den wenigen Monaten, die er das war, hatte er ein Verhältnis mit einer Vollzugbeamtin und schwängerte eine Patientin (denn Leute da sind keine Gefangenen, sondern Patienten). Aber laut Bericht der Betreuer und Therapeuten, wozu auch die betreffende Vollzugsbeamtin gehörte, mache er Riesenfortschritte und könne unbedenklich alleine und ohne Aufsicht zu seiner Mutter, die am 29.9. ihren Geburtstag hatte.
Ich schreibe diese Geschichte am Freitag, den 13. 10. Am Tag zuvor wurde die Leiche von Anne Faber geborgen. P. hatte eine Woche nach seiner Verhaftung am 5.10. endlich mitgeteilt, wo man die Leiche finden könne.
Was für eine traurige Geschichte. Mir hat diese Geschichte irgendwie extrem getroffen und machte mir einmal mehr klar, dass behandelnde Therapeuten von resozialisierenden Straftäter diese nicht rausschicken dürfen in den freien Ausgang, weil sie “unter Garantie” nicht gefährlich mehr seien.
Dazu noch folgendes. Die Geschäftsführerin des forensischen Institutes Ostschweiz „Forio“, Monika Egli-Alge (lic.phil. I) schreibt über ihr Institut und deren Zielsetzung:
„Forio“ hat im Bereich der Begutachtungen und der Therapie von Straftätern mit eigens entwickelten Standards und differenzierten Behandlungskonzepten, welche den Bedürfnissen der Straftäter in jeder Beziehung Rechnung tragen, Massstäbe gesetzt. Denn nur diejenigen Interventionen sind effektiv und helfen nachhaltig die Rückfallrisiken markant zu senken, die diesen Behandlungsbedürfnissen weitgehend gerecht werden.
Wenn Straftäter aus Massnahmen entlassen werden sollen, müssen sie sich in der Freiheit wieder zurecht finden können. Deshalb setzen unsere Interventionen über die Verhaltensänderung hinaus bei der Persönlichkeitsentwicklung an.
Dies gilt in abgestimmter Weise für alle Straftäter: sehr junge Jugendliche, Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene und Menschen mit Lern- und geistigen Behinderungen.
Mit qualifizierten Aus- und Weiterbildungen von Fachkräften, Fachstellen, Organisationen und Institutionen, die sich mit gewalttätigen oder gewaltgefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen befassen, setzen wir weitere, wichtige Schwerpunkte, wie auch mit differenzierter Diagnostik, aussagekräftigen Gutachten und präzis auf Behandlungsbedürfnisse abgestimmten Interventionen und Therapieprogrammen.
Wir fördern Veränderungen - und verhindern so Missbrauch. Nachhaltig.
Mir wurde ein wenig übel, als ich diese Einführung las. Und habe folgenden Vorschlag.
Ich möchte Frau Egli bitten, sich mit den Eltern von Anne Faber in Verbindung zu setzen um denen zu sagen, wie das so ist mit Nachhaltigkeit, aussagekräftigen Gutachten und präzis auf Behandlungsbedürfnissen der Täter abgestimmten Interventionen. Vielleicht sagt, sie, dass man das alles nicht so wörtlich nehmen muss. Das Institut in den Niederlanden, wo P. behandelt wurde, hat sich bisher nicht getraut.
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