In dieser Zeit, wo jeder alles meint zu wissen über krank sein und Krankheiten, ist es auffallend, wie wenig manche Pflegepersonen wissen über neurologische Krankheiten. Eine Patientin von mir wurde vor etwa einem Jahr in ein Alters- und Pflegezentrum aufgenommen. Sie hat ALS seit etwa 8 Jahren.
Da sie sich kürzlich sehr darüber aufgeregt hat, dass eine Pflegefach ihr sagte, sie solle sich doch zusammenreissen und ihre Arme hochheben, habe ich extra für diese Fachfrau die Krankheit mal kurz zusammengefasst.
Krankheitsbeginn:
Der Krankheitsbeginn von ALS kann, wie der gesamte Verlauf der Erkrankung, verschiedenste Formen aufweisen. ALS ist übrigens die Abkürzung von: amyotrofische Lateralsklerose.
Es ist keine Nebenform von MS, wie man hin und wieder hört. Oft zeigen sich zuerst „Ungeschicklichkeiten“, wie etwa Stolpern/Hinfallen, Probleme beim
Halten von Schreibgeräten oder anderen Dingen. Es zeigen sich also schmerzlose Lähmungen von Armen und/oder Beinen. Diese Form der ALS nennt man die spinale Form
Je nachdem, welche motorische Nervenzelle zuerst betroffen ist, kann die ALS auch mit Sprach- und/oder Schluckstörungen beginnen. Das nennt man den sogenannten bulbäre Beginn der allerdings
seltener ist, etwa nur bei jedem dritten Patienten, aber schlimmer.Der genaue Beginn der Erkrankung lässt sich oftmals nicht mehr nachvollziehen, da die ALS schleichend beginnt. ALS führt immer
zum Tod, aber die Zeit variiert zwischen einigen Monaten und 20 Jahren.
Weiterer Verlauf:
Der Verlauf der Krankheit kann sehr
unterschiedlich sein und auch von Fachleuten nicht vorausgesagt werden. Die Symptome der ALS sind kontinuierlich
fortschreitend. Typische Symptome sind schmerzlose Paresen (Lähmungen) in variabler Kombination mit spastischen Symptomen (Erhöhung der Muskelspannung). Grundsätzlich können alle Muskelpartien
betroffen werden. Eine Ausnahme bilden lediglich die Augenmuskeln, die Schließmuskeln des Darms und der Blase, und der Herzmuskel. Inkontinenz ist also normalerweise kein Thema.
Es treten oft auch typischerweise unwillkürliche Zuckungen innerhalb der Muskeln auf, so genannte Faszikulationen. Diese Muskelzuckungen sind in der Regel deutlich sichtbar, aber weder
schmerzhaft noch bedenklich. Weitere Folge der Muskelatrophie ist die allgemeine Kraftlosigkeit der betroffenen Regionen. Diese kann vom Patienten auch bereits subjektiv empfunden werden, bevor
in dieser Muskelgruppe vom Arzt eindeutige Lähmungen feststellbar sind. Weiter kann es zu einer ausgeprägten Spastik (Muskelversteifungen) und zu Muskelkrämpfen kommen.
Bei überwiegend bulbärem Verlauf kommt es zu Dysphagien (Schluckstörungen) und der Dysarthrie (Sprechstörung). Anzeichen einer Dysphagie sind langsames Essen, Gewichtsabnahme
(Essensverweigerung), Husten während und nach dem Essen, Speichelfluss aus dem Mund beim Essvorgang oder Essensrückstände im Mundraum. Folge der Dysphagie kann unter anderem die Aspiration
(einatmen) von Nahrung und eine daraus resultierende Pneumonie (Lungenentzündung) sein. Darüber hinaus sind Laryngospasmen (Schlundkrämpfe) ein häufiges Symptom, d.h. dass kurzzeitig ein
Muskelkrampf im Schlund auftritt, der das Atmen behindert und sich dann regelhaft wieder löst.
Die Dysarthrie zeigt sich in der immer schlechter zu verstehenden Sprache, gleich eines Schlaganfallpatienten. Im Gegensatz zur ALS tritt diese Veränderung beim Schlaganfall jedoch plötzlich auf.
Ursächlich ist eine Lähmung der Muskulatur, die für das Sprechen verantwortlich sind, wie zum Beispiel die der Zunge. Zudem kann ein nicht gewolltes Weinen oder Lachen auftreten, was durch einen
Krampf der Wein- oder Lachmuskulatur zu erklären ist und vielfach den Betroffenen sehr unangenehm ist.
Die zunehmende Lähmung der Atemmuskulatur stellt ein weiteres Symptom der ALS dar. Die Abnahme der Lungenfunktion wird durch den Patienten oftmals erst nur durch vermehrte Müdigkeit,
Kopfschmerzen, nicht erholsamen Schlaf oder Konzentrationsstörungen bemerkt.
Dies sind die an den häufigsten vertretenen Symptomen. Ganz gleich in welcher Körperregion die Erkrankung beginnt und wo sie weiter verläuft, gehen zuletzt alle motorischen Funktionen durch den Zelluntergang verloren, mit Ausnahme der o.g. Augenmuskulatur, Schließ- und Herzmuskeln. Eine Tetraplegie (die vollständige Lähmung der Arme und Beine) ist zu erwarten.
Meine Patientin kann ohne Hilfe nicht stehen und kann vom Oberkörper eigentlich nur noch eine Beugung im Ellbogen machen und Zeigefinger und Daumen bewegen. Psychisch fehlt ihr nichts und sprechen kann sie auch sehr gut. Sie ist aber in allem abhängig von anderen, in ihrem Fall von dem Pflegepersonal. Das Pflegepersonal muss also immer wieder gerufen werden mittels einer Alarmklingel, die sie um den Hals trägt. Manche Pflegende empfinden das als störend, weil es so oft vorkommt und weil es, in deren Augen, um «Kleinigkeiten» geht. Für die Patientin sind sie Kleinigkeiten Riesenprobleme. Ohne Hilfe essen, etwas trinken, sich waschen geht nicht. Sich ein lästiges Haar aus den Augen wischen geht auch nicht. Ebenso wenig wie sich die Nase kratzen.
Das Pflegepersonal mach seine Arbeit, aber sollte sich manchmal etwas mehr in manche Patienten hereinversetzen. Das würde viel zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Zum Wohl beider Parteien.
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